Heute habe ich wieder einen rassistischen Witz gehört. Ich gebe ihn mal in groben Zügen wieder und erzähle euch dann, warum er rassistisch ist, wie ich darauf reagiert habe und wie man auf meine Reaktion reagiert hat.
Also, ein Lehrer überprüft die Anwesenheit seiner Schüler (Das würde so in Wirklichkeit niemals geschehen). Er ruft einen arabischen Namen auf, der Schüler antwortet auf Hochdeutsch mit "anwesend". Das geschieht so ein zweites und ein drittes Mal.
Nach der Nennung des vierten arabischen Namens bleibt es still, keine Reaktion. Der Lehrer schaut die verbleibende Schülerin an und diese antwortet, sie heiße aber doch...und dann folgt ein guter deutscher Name, den der Lehrer, weil er alle seine Schüler für arabische Ausländer hielt, nur völlig falsch, nämlich arabisch, ausgesprochen hat.
Das ist doch harmlos, werdet Ihr denken. "Lach doch einfach darüber", wurde mir gesagt. Und ich habe gelacht. Aber weil ich es gelernt habe Texte zu verstehen und auch Witze Texte sind, fragte ich mich sofort, warum lache ich eigentlich darüber.
Die Antwort ist einfach, ich ertappte mich dabei, dass ich eine bestimmte Grundhaltung brauchte um darüber zu lachen, und zwar dieses Lachen mit herunter gezogenen Mundwinkeln. Und die lautet: Es ist der alltägliche Rassismus!
Zwei gängige Definitionen:
Danach läge Rassismus vor, wenn eine ausgrenzende Mehrheitsgruppe die Macht besäße, eine Minderheit als nicht „normal“ oder „anders“ zu definieren und sie in ihren Lebensbedingungen zu benachteiligen.
Wenn "der Andere" konstruiert wird zur Erzielung von Konsens und der Konsolidierung einer sozialen Gruppe in Opposition zu einer anderen, ihr untergeordneten Gruppe, dann nennt man das heute Rassismus. Dabei fehlen im Allgemeinen die "Rassen", weil eine explizite Rassentheorie nicht zu Grunde gelegt wird.
Wie funktioniert der Witz?
Man erwartet, dass der vierte arabische Schüler sich deshalb nicht meldet, weil er sich z.B. in Syrien dem IS angeschlossen haben könnte oder weil er wie üblich bei diesen Leuten, die sich nicht integrieren wollen, die Schule schwänzt.
Dann aber stellt sich heraus, dass es diesen arabischen Schüler gar nicht gibt und durch die Meldung des deutschen Mädchens steht der Lehrer als der typische Verdächtige (Multikulti-grün-alternativer Blödmann) da.
Und sofort wird der andere Aspekt der rassistischen Vorurteile abgerufen:
Unsere deutschen Schüler sind in der Schule so in der Minderheit, dass sie gar nicht mehr als Deutsche wahrgenommen werden. Die Überzahl von Schülern mit ausländischen Wurzeln zerstört unsere Kultur und macht uns zu Fremden im eigenen Land und in der Schule. Außerdem sind die Lehrer so naiv, dass sie sich auf das Übermaß an ausländischen Schülern derart intensiv einlassen, dass sie die wenigen verbleibenden deutschen Schüler gar nicht mehr wahrnehmen und schon gar nicht fördern.
Und diese Grundhaltung ist nicht nur verwerflich, sie ist fremdenfeindlich, rassistisch und geht an jeder Realität weit vorbei.
Wo auch immer eine solche Episode stattgefunden haben könnte oder vorstellbar ist, Tatsache ist, dass es soziale Brennpunkte in Deutschland gibt. Und es mag auch einzelne Stellen geben, an denen die Mehrzahl der Schüler einer Klasse Migrationshintergrund hat. Da ich aber fast zwanzig Jahre an zwei Schulen in sozialen Brennpunkten gearbeitet habe, weiß ich genau, dass es auch an Schulen wie meiner, wo SchülerInnen aus 26 Nationen unterrichtet wurden, keine Diskriminierung deutscher Schüler gab oder gibt. Begabte Schüler, die an einem deutschen Gymnasium Abitur machen, machen dies aufgrund ihrer Begabung, nicht wegen ihrer Herkunft (vielleicht nicht in Bayern, aber sicher in NRW). Im Gegenteil, man kann beklagen, dass in manchen Bundesländern viel zu wenig für die Förderung von Schülern aus Migrantenfamilien getan wird.
Mit mangelnder Kenntnis der deutschen Standardsprache macht niemand in Deutschland Abitur. Wie kommt es also, dass in sozialen Brennpunkten mit hohem Ausländeranteil genauso viele Jugendliche Abitur machen wie anderswo. Die Antwort ist einfach: weil sie genauso begabt sind wie rein deutsche Schüler.
Da sagt mir einer: Du kannst das doch nur vom Gymnasium her beurteilen. Und er glaubt, das ohne Erfahrung in Schulen vom Hörensagen her besser beurteilen zu können, wie so viele.
Ich aber antworte, wenn solche Zustände in Grundschulen herrschen sollten, dann müssten wir das doch unmittelbar nach der Grundschule an den SchülerInnen der 5. Klassen im sozialen Brennpunkt wohl merken können. Außerdem pflegen Gymnasien gute Kontakte zu den umliegenden Grundschulen und ihren Lehrern.
Schülerinnen und Schüler, die des Deutschen nur eingeschränkt mächtig sind, gibt es sicher auch, aber die landen dann halt auch in den Schulen, die die unteren Schulabschlüsse vergeben. Und da befinden sich nicht nur Migrantenkinder, wie vielfach angenommen wird, sondern auch deutsche Kinder, die in ihren Familien zu wenig Förderung und Unterstützung erfahren. Und außerdem, mit Verlaub, es gibt auch noch den schwach begabten Menschen, und zwar sowohl unter Migranten, als auch unter Deutschen. Diese bilden dann die sogenannten bildungsfernen Schichten.
Ich möchte jedenfalls nicht mehr über einen Witz, wie den oben erläuterten lachen, weil ich sonst fürchten müsste, ohne es zu wollen, im Hintergrund meines Bewusstseins die hirnamputierten Sprüche der Pegida-Idioten und ähnlicher mitzugrölen, eben der Angehörigen der satt bildungsfernen Schicht!
Die Reaktion auf meine Reaktion war übrigens allgemeines Unverständnis und/oder Schweigen. Danach, zum Teil auch deswegen löste sich die Runde auf. Und wenn ich nicht so herrliche Blüten deutschen Daseins im Ausland sammeln könnte, würde ich vielleicht endlich einsehen, dass ich dort nicht dazu gehöre.
NACHTRAG:
Natürlich sehe ich auch, dass sich die Verhältnisse in deutschen Schulen durch die aktuelle Flüchtlingsproblematik mancherorts verschlechtern können. Da ich jedoch daran beteiligt war, wie die sog. Spätaussiedler in den Schulalltag integriert wurden, bin ich zuversichtlich, dass auch diese Belastung bewältigt werden wird.
Dass die Flüchtlinge in dieser Anzahl auf Europa zurennen, dafür haben wir uns freilich bei den politischen Geisterfahrern vieler letzter Jahre unserer und mancher anderern kapitalistischen Gesellschaft zu bedanken. Aber das steht auf einem anderen Blatt...
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